Eine Kamera, die sich die Welt nicht anders wünscht, als sie ist –

Bert Rebhandl

– Lebensform ohne Zukunft: „Himmel und Erde“, ein filmisches Naturgedicht über Bergbauernhöfe in der Steiermark von Michael Pilz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt a.M., 16. Februar 2011

Der Landwirt Johann Damm, genannt Kratzer, mit Anwesen im steirischen Obdacherland, hatte im Jahr 1980 noch keinen Traktor. Er bestellte seine steilen Felder mit dem Pferd, ein treues Tier, das in den vierzehn Jahren auf seinem Hof bei guter Gesundheit geblieben war, weil es viel beansprucht wurde. Im Frühjahr 1980 folgte dem Pflug noch ein weiterer Mann: Der Filmemacher Michael Pilz drehte in der Gegend das Material zu einem einzigartigen Werk. Er brauchte dann noch zwei Jahre im Schneideraum, bevor er 1982 den zweiteiligen Dokumentarfilm „Himmel und Erde“ veröffentlichte, in dem Johann Damm so etwas wie die Hauptfigur ist, sofern es eine solche geben kann in einem Zusammenhang, in dem es um die Menschen nur insofern geht, als sie mit den Elementen leben, mit Sonne und Wind, Schnee und Dreck, mit dem Holz und dem Gestank, den die neuen Landmaschinen zunehmend auf den Gehöften der Bergbauern verbreiteten.

„Himmel und Erde“ zeigt eine Lebensform, die keine Zukunft hat – ein karges, selbstgenügsames Auskommen an einem Ort, an den jemand wie der Kratzer durch den Zufall der Geburt gestellt wurde. Eine Wirtschaft, die bis vor kurzer Zeit noch kaum Geld gebraucht hatte, die aber unter Preisdruck geraten war, denn nun musste man Milch und Schweine verkaufen, um Saatgut im „Lagerhaus“ zu bekommen. Pilz zeigt in seinem Film diese Prozesse des Übergangs, aber es geht ihm um deutlich mehr: „Himmel und Erde“ ist zugleich so etwas wie ein filmisches Naturgedicht und ein Zivilisationsmythos, in dem die Berglandschaft in der Steiermark der Nabel der Welt ist.

In den achtziger Jahren liefen die beiden Teile „Die Ordnung der Dinge“ und „Der Lauf der Dinge“, die zusammen fast fünf Stunden dauern, auf vielen Festivals, danach aber geriet der Film zunehmend in Vergessenheit, auch deswegen, weil sein Urheber Michael Pilz eine Karriere ganz am Rande des Kinos einschlug. Wenn man heute seine Website besucht (www.michaelpilz.at), dann kann man staunen über ein riesiges Gesamtwerk, von dem der internationale Festivalbetrieb indes nur wenig zu wissen scheint. Immerhin hat das Österreichische Filmmuseum nun „Himmel und Erde“ im Rahmen der Edition Filmmuseum wieder zugänglich gemacht (vor zwei Jahren schon erschien der sehr lesenswerte Sammelband „Michael Pilz. Auge Kamera Herz“, herausgegeben von Olaf Möller und Michael Omasta, in der Reihe Filmmuseum-Synema-Publikationen). Im Rahmen des Forums der Berlinale gibt es in dieser Woche sogar die Gelegenheit, ihn in einer Kinovorführung zu sehen.

Es ist nun mehr noch als in den Jahren der Entstehung eine Zeitreise, auf die wir uns hier begeben können. Pilz kommentierte die Bilder vom landwirtschaftlichen Alltag nämlich mit Textpassagen aus klassischen religiösen Schriften wie dem Tao te King, dem „Buch vom südlichen Blütenland“ oder aus dem Propheten Jesaja oder einem Paulusbrief. Mit diesem Verweis auf eine Zeit der „Alten“, auf ein goldenes Zeitalter der Naturunmittelbarkeit, wird in „Himmel und Erde“ aber keineswegs die bergbäuerliche Lebensform idealisiert. Sie wird in einen spektralen Bezugsrahmen gestellt, der in etwa den Bildern entspricht, die Pilz häufig gegen die Sonne filmt, so dass der Einfall der Wirklichkeit in die Kamera immer wieder zerfällt. Das Zitat von Laotse, das „Himmel und Erde“ voransteht, könnte man noch als klassisches Registraturprogramm verstehen: „Nimm das, was vor dir ist, so wie es ist, wünsche es nicht anderes als es ist. Sei einfach da.“ Dem steht aber eben eine komplexe Montage entgegen, ein Autor, der sich immer wieder als großer Erzähler (und Zitierer) präsentiert und der seinem Film noch einen zweiten, weniger leicht zu deutenden Satz voranstellt: „Ich träumte, man hat mich gewürgt. Ich bin erschossen worden.“

Angesichts der mehrfachen Schweineschlachtungen, die in „Himmel und Erde“ ausführlich zu sehen sind, inklusive der dabei verwendeten Bolzenschussgeräte, ist das eine Identifikation mit dem Tier, für die darüber hinaus kaum Platz ist. Denn nichts könnte die Ordnung der Dinge auf einem landwirtschaftlichen Betrieb besser zum Ausdruck bringen als die Hühner, die unter den Hälften eines eben geschlachteten Schweines unbekümmert nach ihren Körnern picken.

Im europäischen Kino hat es immer wieder an markanten Punkten Rückbezüge auf das bäuerliche Handwerk (das ja immer auch eines des Tötens ist) gegeben, von Jean Eustaches „Le cochon“ (1970) bis zu Fredi M. Murers „Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind“ (1975), und als entferntere Referenz könnte man bei „Himmel und Erde“ formal noch an Werner Herzogs „Fata Morgana“ (1971) denken, der allerdings jede Rede von einem „Anfang“ ins Leere laufen lässt. Aber das lässt sich mit guten Gründen auch für Michael Pilz sagen, der das Leben von Johann Damm und Ägidius Reiter und Alfred Leimer und wie sie alle heißen keineswegs zu einem Ursprungsmythos fügen möchte – er streift auch ganz konkret an keiner Stelle so etwas wie Siedlungsgeschichte, das Alter der Höfe ist ihm nicht wichtig, es zählt gerade einmal der historische Horizont der Protagonisten, und der bleibt sehr vage.

Es ist dies der Punkt, an dem „Himmel und Erde“ auch Gefahr läuft, etwas Wesentliches zu übersehen: Denn der festgefügten Ordnung aus Arbeit und Kirchenfrömmigkeit entsprach im zwanzigsten Jahrhundert traditionell eine bestimmte Politik, die zwar überwiegend auf Distanz zum Nationalsozialismus blieb, aber häufig latent autoritär war. Von dieser Möglichkeit, von der die kritische Heimatliteratur der Zeit bestimmt wurde, ist bei Pilz nichts zu sehen, und sie bleibt auch, auf den engeren Raum der Familie bezogen, auffällig gegenbesetzt: Die vielen Kinder erscheinen, wenn schon nicht völlig unbeaufsichtigt, so doch wesentlich frei in ihren Spielen, von berückender Einfachheit in ihren Träumen, und wenn einer in der Schule einen Satz „in der Gegenwart“ an die Tafel schreiben soll, dann schreibt er an die Tafel: „Ich schreibe mit weißer Kreide diesen Satz an die Tafel.“

Es sind Momente wie dieser, in denen die unscheinbare Größe dieses Films plötzlich zu explodieren scheint, in denen das Zeigen so abgründig wird wie der Blick des Kratzers auf den Bergrücken, zu dem er tagtäglich hinüberschaut. Er ist nämlich überzeugt davon, dass dort drüben ein Spalt in der Erde liegt, der nicht zu durchmessen ist.

Der Übertitel „Der Lauf der Dinge“, den Michael Pilz für den zweiten Teil gewählt hat, zielt denn auch nicht oder nur vorübergehend auf historische Erfahrungen mit der Modernisierung, mit der Krisenstimmung zu Beginn der achtziger Jahre – es geht vielmehr um den Kreislauf des Lebens, der hier in zahlreichen klerikalen Prozessionen abgeschritten wird, den Pilz aber zunehmend auch zum Prinzip seiner Montage macht. „Himmel und Erde“ frisst sich mit zunehmender Dauer immer fester in sich selbst hinein, wird zugleich radikaler als Dokumentarfilm und in dessen modernistischer Auflösung. Die Natur hat nichts Bergendes, sie macht nur viel Arbeit, und in dieser Arbeit liegt das wesentliche Element, an das Pilz mit seinem Film anschließt, der auch viel Arbeit macht, dafür aber dann eben jene Belohnungen enthält, für die man sich an einen exponierten Ort begeben muss. Michael Pilz hat nach „Himmel und Erde“ noch in Afrika und im Iran, im Jemen und im griechischen Delphi gedreht, und man kann nur hoffen, dass es irgendwann Möglichkeiten geben wird, dies alles irgendwo zu sehen.

Wie lange Johann Damm noch mit seinem Pferd den Hof bestellt hat, müssen wir hingegen auf sich beruhen lassen. Auch das gehört zum präsentischen „Anfang“ von „Himmel und Erde“, dass es nicht um eine Langzeitbeobachtung geht, sondern um die immer nur konkrete Gegenwart, die ein Filmemacher mit der Kamera der Zeit entreißen kann. Dazu zählt übrigens auch, dass der Bauer Johann Damm am Ende einer Fahrt in den nächsten Ort sich wieder auf den Heimweg macht, und die Musik aus dem Geschäft wandert hinter ihm drein – der „Weihnachtsmann“ der heute legendären Wiener New-Wave-Band „Blümchen Blau“ ist die völlig unerwartete Hymne von „Himmel und Erde“, ein weiteres Zeichen dafür, wie weit dieser Film ausgeholt hat.

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