Über die Arbeit des Filmregisseurs

Wang Dongfeng

Im folgenden eine Transkription Wang Dongfengs eigener mündlicher Übersetzung seiner schriftlichen Antwort auf Michael Pilz’ Schilderung des Film-Projekts „Feldberg“, anläßlich eines Gesprächs zwischen Michael Pilz und Wang Dongfeng (Tai-Chi-Meister) im Cafe Landtmann in Wien, am 18. Juni 1989.

Was die Arbeit des Filmregisseurs ist.

Du bist Österreicher und Deine Arbeit ist zum Beispiel die, daß Du Filme machst, daß Du viel nachdenkst, viel schreibst, sehr viel nachdenkst, um später dann den Ausdruck der Bilder und der Töne, der Darsteller und der Landschaft zu suchen, die Deinen Film ausmachen. Das ist Deine Arbeit.

Du und ich, Wang Dongfeng, Experte für chinesisches Qigong, Wushu und Taijiquan, sowie Großmeister des zehnten Dan, wir sprechen miteinander. Lange Zeit schon denkst Du darüber nach, einen Film zu machen, keinen normalen Film, denn andere Filme sind nicht dasselbe wie dieser Film. Dein Film soll anders werden, nicht gewöhnlich, nach anderen Methoden gemacht, aber sehr gut, sodaß er allen Menschen helfen kann. Du hast viel herumgesucht und viele verschiedene Arbeiten und Beobachtungen gemacht, makroskopische und mikroskopische Beobachtungen.

Du hast zum Beispiel Steine angeschaut und Du hast dann durch sie hindurchgeschaut, weiter, noch weiter, bis zum Himmel, bis in die Erde und noch weiter, weiter, weiter. Und dann hast Du die Dinge aus der Nähe betrachtet, ganz nahe, sehr nahe und noch näher, viel näher. Ganz weit und ganz nahe, das gehört zusammen. Die Vorbereitungen werden dazu verwendet, um den Ausdruck in höchstem Ausmaß zu erreichen, denn Dein Interesse ist nicht der traditionelle Film. Zum Filmen brauchst Du Darsteller, aber auch viele andere Mitarbeiter und sie alle sollten ruhig und entspannt und bereit sein, von innen her zu sehen. Die innere Vorbereitung braucht viel Training und dieses kann der Arbeit, dem Film sehr helfen.

Du hast immer schon viel nachgedacht, bei Deinen früheren Filmen, vielen verschiedenen Filmen, die aber nur äußerlich verschieden, innerlich aber ungefähr dasselbe sind. Du findest, dasselbe zu machen, sich zu wiederholen, sei langweilig. Jetzt brauchst Du für diesen Film erstens eine gute Kamera, zweitens gute Darsteller und drittens eine schöne Landschaft, diese drei sind gleichwertig, das heißt, Menschen, Natur und Licht, das ist die Sonne, die Sonne ist das Licht, diese drei nehmen die gleiche Stellung ein. Regisseur und Darsteller müssen das auch zum Ausdruck bringen, wenn sie sich nicht auf moderne Ausrüstungen stützen können. Das Innere muß nach außen zum Ausdruck gebracht werden. Menschen, Landschaft und Licht, das bedeutet vor allem einen Dialog zwischen innen und außen, einen Dialog zwischen Bewußtem und Unbewußtem. Der Film bedeutet das Zentrum, er spricht von innen und von außen.

Viele Menschen wollen etwas, aber sie wissen nicht, was das ist, was sie wollen. Dann wollen sie wieder nicht und es ist ihnen nichts klar. Du willst die sichtbaren Dinge filmen, Eindrücke auszudrücken. Du mußt mit Deiner Filmkamera suchen, es kann aber auch sein, daß Du dabei nichts siehst. Hier ein Beispiel: Du siehst einen Baum. Dann machst Du Deine Augen zu, das Bild des Baums ist in Deinem Kopf, es ist in Dir drinnen, sodaß Du jetzt darüber nachdenken kannst, nachdenken, nach, nach, nach – sehr, sehr weit. Später gehst Du mit der Filmkamera auf die Reise und filmst das und das und das und später denkst Du darüber nach, was ist das und was ist das und was ist das, es ist wie im Leben. Du siehst etwas, dann denkst Du darüber nach, immer wieder und immer gründlicher, ein Suchen, Du suchst und suchst und suchst.

Die Landschaft. Du sagst, es ist eine sehr schöne Landschaft, das ist sehr gut, ungefähr achtzig Kilometer von Wien entfernt, oder noch etwas weiter. Du sagst, sie ist sehr alt, es ist früher ein großes Meer dagewesen und Himmel, Erde, Wind und die Jahrtausende haben viele schöne Inseln geschaffen, schöne, kleine, verschiedene Inseln und noch vieles mehr und alles zusammen wurde über lange Zeit, ganz langsam, sehr schön.

Wenn Du dann filmst, folgt die Kamera den Bergen entlang bis unten, bis ganz unten und noch tiefer und dann wieder hinauf, höher hinauf und hinunter, weit, weiter, ganz weit, bis zuende, aber es gibt kein Ende, immer weiter … Es ist ein sehr altes, sehr gutes, sehr schönes Land. Steine wurden abgegraben, was die Landschaft beeinflußte und wodurch viele Gegensätze entstanden, die man wieder durch verschiedene Methoden ausdrücken kann. Zum Beispiel ist ein Teil abgegrabenen Landes wunderschön mit Bäumen und Sträuchern verwachsen. Es gibt kaputte Stellen, aber auch diese regen zu vielen Vorstellungen an. Wenn der Film das Leben reflektiert, ist es vor allem ein Gegensatz von Machen-Wollen, aber Nicht-Machen-Können. Zum Beispiel: Du willst einen Weg gehen, aber es regnet, oder Du willst jemanden anrufen, hast aber kein Geld, gar kein Geld.

Einige Dinge werden gefilmt und gezeigt, das Publikum kann später, wenn es diese Dinge sieht, zum eigenen Denken angeregt werden, jeder kann sie für sich selbst verstehen und je nach Voraussetzung wird jeder zu einem anderen Ergebnis kommen. Der Film fordert nicht vom Publikum „Du mußt!“, so oder so, sondern er stellt es frei, was sich jeder daraus nehmen will. Jeder Mensch kann dafür auf die Suche gehen, auf eine Suche nach innen. Der Film ist eine Art Zentrum, zwischen innen und außen, gesamt gesehen der Gegensatz zwischen Innen und Außen, zwischen Wollen aber Nicht-Können, zwischen Mensch und Natur, zwischen dem einzelnen Menschen und der ganzen Welt. Der Film wirft damit die Fragen auf, ob der Mensch der Beherrscher der Welt ist, ob er ihre Gesetzmäßigkeiten respektiert oder nicht, zu solchen Gedanken kann der Film anregen.

Zum Beispiel geht die Sonne jeden Morgen im Osten auf. Viele Menschen leben aber so, als wollten sie, daß die Sonne an ganz entgegengesetzter Stelle aufginge, daß sie morgens nicht links, sondern rechts aufgehen solle. Das geht aber nicht, denn sie geht links, im Osten auf, kommt mittags hoch, wendet sich nachmittags nach rechts und geht abends ganz rechts unter. Daran läßt sich gar nichts ändern, obwohl das viele Menschen ändern wollen. Viele Menschen machen sich daher große Probleme, weil sie derlei Naturgesetze nicht wahrhaben wollen. Die Sonne geht einmal im Osten auf und im Westen unter. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich zu entspannen, von innen her ruhig zu werden, langsam zu suchen, was das ist, die Natur, die Landschaft, was das ist, der Himmel, die Erde, der Wind, das Leben. Was ist Dein Leben? Zum Beispiel, wenn Du nicht den Weg zum Bahnhof weißt, aber zum Bahnhof willst, oder wenn Du von den Steinen nichts verstehst, aber mit Deinem Kopf gleichsam da hindurch willst, das geht nicht, das tut weh, da geht Dein Kopf dabei kaputt und Du weißt nicht, was los ist. Du hast eine Menge solcher Probleme, wenn Du nicht weißt, daß dies hier harte Steine sind und Dein weicher Kopf diesen harten Steinen nicht standhält. Natürlich gehst Du daran kaputt, wenn Du Dich ihnen gewaltsam entgegenstellst. Aber wenn Du hier bleibst, ruhig, von innen her entspannt und wenn Du suchst, wenn Du die Dinge betrachtest und darüber nachdenkst, wo der Weg ist, wo der Weg hinführt, der Weg nach Wien oder der Weg nach Salzburg oder der nach Deutschland oder der nach Italien. Viele Menschen machen dabei etwas ganz falsch, wenn sie den richtigen Weg nicht kennen und andauernd in die falsche Richtung gehen, denn dann haben sie eine Menge Probleme. Sie sollten lernen, sich zu entspannen, von innen nachzudenken, von innen das gute Leben zu suchen. Wenn Du nicht nachdenkst, oder wenn Du zuwenig nachdenkst, oder ganz falsch nachdenkst, dann wirst Du nichts erreichen, dann wirst Du Dir nur Schwierigkeiten einhandeln. Denn wenn Du Schwierigkeiten hast, dann hast Du sie Dir immer selbst gemacht. Wenn Du das Problem nicht suchst, wird es nicht kommen.

In Europa gab es viele Menschen, Künstler, die im Tanz, in der Malerei, in der Bildhauerei, im Film, in der Musik gearbeitet haben. Sie haben vieles geschaffen, aber zuletzt doch nicht alles, etwas fehlt. Brancusi, der rumänische Bildhauer, sagte, die Künstler ruinieren die Kunst. Er lebte in Paris, er war ein sehr guter Mensch, sehr klug wäre zuwenig für einen wirklich großen Menschen. Er konnte alles von innen machen, er machte sich niemals ganz konkrete Arbeitspläne, er sagte sich nicht, morgen muß ich das oder das machen, übermorgen das, er kannte nicht dieses „ich muß!“, er hatte alles von innen her gemacht, sicher wurden vor allem deshalb seine Arbeiten in jener Zeit sehr gut, weil sie von innen kamen, nicht gewollt, sondern weil sie ganz nach dem Gefühl entstanden. Das ist der Unterschied zwischen reglementiertem und natürlichem Vorgehen.

Michael sagt noch einmal, der Film sei das Zentrum, für das es eigentlich keinen Plan gäbe, so wie es keinen Plan für dieses unser Zwiegespräch gibt. Bei jeder Kunst soll man vom Gefühl ausgehen, vom Natürlichen. Wenn man von sich selbst ausgeht, zerstört man die Natur und die Kunst. Wer immer nur von sich selber ausgeht, der schafft sich damit Probleme.

Michael sagt, der Film sei eigentlich nicht sein Film, sondern der Film aller Menschen zusammen, zumindest jener Menschen, die direkt und indirekt sein Entstehen bewirken. Der Film sei eine Art Geschenk an das Publikum, auch darüber nachzudenken, über das gute Leben sozusagen. Zum Beispiel, wenn Du einen Berg ansiehst und dann die Augen schließt, ganz ruhig nachdenkst, Dir die Vorstellung des Berges, sein Bild wachrufst, im Inneren und wenn Du diesen Vorstellungen folgst, weiter, weiter, noch weiter, dann kommst Du zur richtigen Einstellung dem Leben gegenüber, zur richtigen Philosophie sozusagen.

Das Zentrum des Films ist also von Anfang an entspannt, von innen her ganz ruhig, nach außen hin entspannt, es ergibt sich ganz einfach die natürliche Spannung und diese geht über in eine Entspannung. Du tust etwas, Du tust es mit großer Anstrengung, mit Kraft, mit noch mehr Kraft und dann entspannst Du Dich wieder, Du wirst ruhig, ganz ruhig, langsam, weich und daraus wächst wiederum die Kraft für neue Taten, ohne Ende sozusagen. Ich, Wang Dongfeng, war lange Zeit in China Dao, führte da kein normales Leben, trainierte jeden Tag Dao, Philosophie, Medizin, viele verschiedene, alle Arten daoistischer Übungen, ein umfassendes geistiges und körperliches Training, daoistisches Wushu, das ist eine bestimmte Art des Übens.

Du, Michael, hast mich, Wang Dongfeng gebeten, Euch mit dem Wesen des Taijiquan und mit dem Wesentlichen aus dem Dao zu helfen, das beste künstlerische Ergebnis zu erreichen. Du hast lange Zeit überlegt, wie man das Dao filmisch ausdrücken kann, um es so den Menschen näherzubringen und um ihnen so vielleicht zu helfen. Und mich hast Du gebeten, Dich mit meinen Erfahrungen indiesem Bereich zu unterstützen.

Ich habe Dir gesagt, von Anfang an waren Himmel und Erde zusammen, U-chi, das ist Dao. Der Ursprung des Kosmos liegt im Dao. Wenn der Mensch seinen Geist und seinen Körper mit dem Dao verschmilzt und zwar lange Zeit, ohne Unterbrechung, wenn er Geist und Körper trainiert, um Dao zu finden, zu erlangen und so das Ziel erreicht, so hat das zur Folge: Geistige Kraft, Vitalität, körperliche Gesundheit und positives Denken. Dann wird alles gut werden, die Menschen werden zufrieden sein und lachen. Dann ist auch Michael zufrieden.

Das ist mein Name, Wang Dongfeng, daoistischer Name He Xian.

© Wang Dongfeng

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